Coventrys Raubkatze

Jaguar zählt mit seinen schicken Wagen zu den Kronjuwelen der britischen Automobilindustrie. Vor 80 Jahren verwendete der Gründer erstmals das Logo mit der Großkatze. von Wolfram Nickel

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Der S.S. 100 Jaguar von 1936  |  © Hersteller

Wenn William Lyons über seine Werksanlagen in Coventry berichtete, geriet er gern ins Schwärmen. So erklärte der Gründer von Jaguar einmal, dass ein Automobil das Nächste zu einem Lebewesen sei, das man produzieren könne. Weshalb Lyons seine ebenso extravaganten wie leistungsstarken Fahrzeuge auch nach einem besonderen Lebewesen benannte, dem kräftigsten Jäger unter den schnellen Wildkatzen.

Über entsprechendes Temperament verfügten die Modelle reichlich, die Lyons vor 80 Jahren, im September 1935, im feinen Londoner Hotel Mayfair vorstellte: den S.S. Jaguar 2.5 Saloon und den Tourer – es waren Lyons’ erste Fahrzeuge mit der Raubkatze im Namen. Beide Modelle wurden angetrieben von einem fast 2,7 Liter großen Sechszylinder mit 75 kW Leistung. Auch der folgende legendäre Roadster S.S. 100 enthielt diesen Motor, und die Typenziffer des Roadsters versprach zu Recht atemberaubende 100 Meilen pro Stunde, also rund 160 km/h. So erhielt auch der Zweisitzer den Namenszusatz Jaguar.

Bis die Modellbezeichnung Jaguar zur Marke mutierte, dauerte es allerdings noch zehn Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Kürzel S.S. negativ konnotiert, und so übernahm die britische Autofirma den Namen ihrer schnellen Wagen – und stellte am 21. September 1945 die ersten Nachkriegsmodelle vor. Jaguar 1.5 Litre, 2.5 Litre und 3.5 Litre waren allerdings fast unveränderte Versionen von Vorkriegsmodellen, nur ohne das Kürzel.

Unter diesem hatte William Lyons – damals noch mit Partner Bill Walmsley – schon 1931 die Fertigung eigenständiger Automobile begonnen. Was die Buchstaben S.S. bedeuteten, ist bis heute nicht ganz sicher: eine Hommage an die 1922 durch Lyons und Walmsley gegründete Swallow Sidecar Company, die mit dem Bau von Motorrad-Seitenwagen zur Keimzelle von Jaguar wurde? Oder stand S.S. für Swallow Standard, weil die Firma Standard Motoren und Chassis an S.S. lieferte?

Großer Erfolg mit dem XK

Egal, zur Ikone wurden die Autos aus Coventry erst durch die fauchende Katze am Kühlergrill. Und durch das Markenmotto Value for money, denn mit erschwinglichem Luxus gelang Jaguar der Einstieg in die Liga prestigeträchtiger Marken. Das bewies vor dem Zweiten Weltkrieg der S.S. Jaguar 100, der trotz neuartiger Aluminiumkarosserie weniger als die Hälfte kostete als die Konkurrenten von Alfa Romeo oder Aston Martin; 1948 gelang Jaguar mit dem konkurrenzlos schnellen XK 120 die Autosensation der Wiederaufbau-Jahre.

Die Bezeichnung sagte es schon: 120 Meilen pro Stunde (192 km/h) erreichte der futuristisch geformte Wagen, bei Versuchsfahrten maßen die Stoppuhren sogar 212 km/h. Der XK 120 war aber nicht nur wahnsinnig schnell, sondern auch für ein solches Fahrzeug vergleichsweise günstig. Der XK kam auch in Deutschland als erster Jaguar für 21.000 D-Mark in den Handel, wurde aber durch einen ungünstigen Wechselkurs teurer und rarer als der staatstragende Mercedes 300 von Bundeskanzler Konrad Adenauer.

Auch Jaguars Renngeschichte kam mit dem XK 120 und dem davon abgeleiteten C-Type in Fahrt. 1951 deklassierte dieser beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans die Konkurrenz geradezu. Die folgenden D-Types sammelten Siege in Serie, darunter Erfolge in Le Mans 1955, 1956 und 1957. Auf überzähligen D-Type-Karosserien basierte der 280 km/h schnelle Straßensportler XK-SS, dessen prominentester Fahrer der Schauspieler Steve McQueen wurde. Von dem XK-SS wurden bis 1957 aber nur 16 Exemplare gefertigt – ein Großbrand im Werk Browns Lane zerstörte die Hälfte aller Jaguar-Produktionsanlagen.

Jaguar E-Type

Jaguar bot ab 1961 den E-Type an.  |  © Hersteller

Doch Lyons ließ sich nicht unterkriegen und nutzte den Wiederaufbau nach dem Brand, um die Marke noch charismatischer und kräftiger auftreten zu lassen. Sein Unternehmen schuf die ersten kompakten Sportlimousinen, die viertürigen Jaguar MK II mit 220 PS, und erwarb 1960 den ältesten britischen Autobauer, die Daimler Motor Co. Damit gewann Jaguar neue Produktionskapazitäten für eine goldene Dekade, die das Modell E-Type 1961 eröffnete. Auf dem damaligen Genfer Autosalon stellte Jaguar den Jahrhundert-Sportwagen vor, der mit seinen 195 kW selbst Ferrari auf Distanz hielt. In seiner 14-jährigen Produktionszeit brachte es der E-Type mit 72.539 Exemplaren zum bis dahin meistgebauten Supersportler.

Nicht weniger erfolgreich war eine andere von Lyons gezeichnete Stilikone, die 1968 präsentierte Limousine XJ. Manche Fachleute betrachteten den 4,81 Meter langen XJ sogar als ebenbürtigen Rivalen des Rolls-Royce Silver Shadow. Dank E-Type und XJ überstand Jaguar auch die folgende stürmische Fusionszeit. Mitte der sechziger Jahre fusionierte die Marke mit der Raubkatze mit der British Motor Corporation zur British Motor Holding BMH, und die BMH kurz darauf wiederum mit Leyland zur fast 20 Marken umfassenden Moloch British Leyland Motor Corporation.

Doch der Großkonzern war nur mäßig erfolgreich. Die Ölkrise in den 1970er Jahren traf vor allem Jaguar hart – die V12-Motoren waren schlicht zu durstig. Dazu kamen massive Qualitätsprobleme und mangelnde Motorsporterfolge fürs Image. Da war Sir William Lyons bereits im Ruhestand, Jaguar fehlte aber ein guter Nachfolger für Lyons’ letzten Wurf, den XJ. Die Absatzzahlen gingen spürbar zurück, und 1980 erreichte Jaguar schließlich einen Negativrekord: In jenem Jahr wurden gerade einmal 15.011 Autos produziert.

Erst bei Ford, nun bei Tata

John Egan übernahm die Führung des Autobauers und begann, mit einem strengen Regime die Probleme anzugehen. Eine Qualitätsoffensive sollte Jaguar wieder auf die Beine bringen. Das gelang unter anderem mit der neuen XJ40-Baureihe, mit der die Kunden zufrieden sind, und mit Absatzerfolgen des XJS. Zudem siegte Jaguar 1988 wieder bei den 24 Stunden von Le Mans. Die Nachfrage stieg weiter, 1990 fertigte das Unternehmen 42.754 Fahrzeuge – ein Bestwert für Jaguar.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Ford bereits Jaguar übernommen. Für die Amerikaner reichte der Erfolg noch nicht, denn Jaguar sollte die weltweit absatzstärkste Luxusmarke werden. Ein Ziel, das trotz neuer Generationen der XJ-Reihe und V8-Sportlern wie dem XK8 verfehlt wurde. Immerhin gelang es den Briten 2001, die Produktionsmarke von 100.000 Einheiten pro Jahr zu überschreiten. Dazu beigetragen hatten der 1998 lancierte S-Type im Retrodesign früherer MK-Limousinen und ein brandneuer kleiner Jaguar namens X-Type. Weil er auf der Plattform des schlichten Ford Mondeo basierte, war der X-Type durchaus umstritten, wurde mit über 350.000 Einheiten aber zum erfolgreichsten Jaguar aller Zeiten.

Der entscheidende Sprung in eine ertragreiche Zukunft gelang nach der Trennung von Ford. 2008 übernahm die indische Tata-Gruppe die britische Traditionsmarke, ausgerechnet ein Konzern aus einer früheren britischen Kronkolonie. Den Auftakt einer stilistischen Neuausrichtung markierte die XF-Limousine – als Nachfolger des S-Type im Retrodesign. Großen Beifall ernteten Jaguar und der indische Eigner schließlich 2012, als der neue F-Type auf dem Pariser Salon debütierte. Mit dem Erfolg expandierte Jaguar auch wieder: Voriges Jahr wurde bei Birmingham ein neues Motorenwerk durch König Elisabeth II. eröffnet. Und mit dem neuen XE besetzte Jaguar im Juni 2015, sieben Jahre nach dem Rückzug des X-Type, wieder die Mittelklasse.