Aktionäre blicken sorgenvoll auf die aktuellen Gefahren.
Rohöl wird immer teurer und belastet Industrie und Verbraucher. Der aktuelle Chip-Mangel hinterlässt tiefe Spuren in den Bilanzen. Bestseller-Autor Marc Friedrich erläutert im FOCUS-Online-Interview, wie Anleger auf die Risiken reagieren sollten.
FOCUS Online: Herr Friedrich, die Energiekosten gehen gerade durch die Decke. Befinden wir uns im Krisenmodus?
Marc Friedrich: Ja, was wir hier sehen, ist eine tickende Zeitbombe. Der Winter wird entweder bitterkalt für die Verbraucher oder extrem teuer. Eigentlich kann man nur hoffen, dass der Klimawandel zuschlägt und wir dauerhaft 17 Grad im Winter haben.
Losgelöst vom Sarkasmus: Wir steuern also auf ein großes Problem zu.
Friedrich: Mittel- bis langfristig auf jeden Fall. Die Rohstoff- und Energiepreise explodieren. Der Strompreis beträgt aktuell mehr als 30 Cent pro Kilowattstunde. Damit sind wir wieder einmal Weltmeister. Viele Haushalte haben Angst vor steigenden Energiekosten und das völlig zurecht! Im Warenkorb ist Energie & Wohnen mit 32,5 Prozent gewichtet, da kann man sich leicht ausrechnen, wohin die Inflation geht.
Im September lag sie in Deutschland bei 4,1 Prozent.
Friedrich: Das wird noch mehr und die Zeche zahlt der Verbraucher, denn die Kosten werden an der Ladenkasse von den Unternehmen weitergegeben. Aber dabei bleibt es nicht, denn die wahre Inflation liegt eher bei 10 bis 15 Prozent. Schauen Sie sich doch nur mal die Immobilienpreise an. In Stuttgart sind sie seit Jahresbeginn im Schnitt um 12,4 Prozent gestiegen, das ist doch Wahnsinn. Die erratischen Preisanstiege bei den Assetklassen wie Aktien, Rohstoffen usw. gehen ebenso weiter.
Das soll ja nur temporär sein, wenn man den Volkswirten und der EZB Glauben schenkt.
Friedrich: Glauben Sie das? Das sind doch Beruhigungspillen und pure Augenwischerei. Die Versorgungsketten sind nachhaltig gestört, das wird uns 2022 durchgehend beschäftigen. An einen temporären Effekt, wie es die EZB uns weismachen will oder einige Experten wie Marcel Fratzscher, glaube ich nicht. Ich habe in meinem Buch ein ganzes Kapitel dazu geschrieben und die Inflation prognostiziert. Das war auch kein Kunststück, denn in den letzten 800 Jahren ist immer ein Jahr nach einer Pandemie eine Inflation gekommen. Das gepaart mit der lockeren Notenbankpolitik und historisch hohen Konjunkturprogrammen auf der Fiskalseite ist die Zutatenliste für einen perfekten Sturm.
Gibt es außer den gestörten Lieferketten noch andere Gründe, warum Sie daran nicht glauben?
Friedrich: Ehrlich gesagt rechnet keiner aus der Industrie damit, dass es sich um ein temporäres Phänomen bei der Inflation handelt. Mir reicht da der Blick auf die Containerschiffe: Vor wenigen Monaten waren sie abgeschrieben und nichts wert, jetzt stehen sie hoch im Kurs. Der Baltic Dry Index …
… ein Preisindex für den weltweiten Transport von Seefracht …
Friedrich: … richtig, der spricht Bände. Wir sehen hier immense Preis-Steigerungen, das zeigt doch die Verwerfungen und aktuellen Probleme. Auch ein guter Freund von mir, der im Container-Bereich tätig ist, ist davon überzeugt, dass wir vor 2023 nicht zur Normalität zurückkehren.
Für die gestörten Lieferketten kann Deutschland nichts. Aber haben wir bei der Energiewende einen Fehler gemacht?
Friedrich: Einen historischen Fehler sogar! Aber gehen wir das wichtige Thema pragmatisch an. Wir können 10 Millionen Solarpanels auf die Dächer packen und 5 Milliarden Windparks bauen. Fakt aber ist: Wenn es dunkel ist und kein Wind weht, gibt es keinen Strom und falls beides doch passiert, haben wir immer noch ein immenses Problem: Wir können diese Energie nicht speichern! Wir benötigen erst die Speicherpuffer, dann bauen wir die Energiewende sukzessive auf. Wenn Kohle wegfällt, verzichten wir auf 38 Prozent unserer Energie. Damit ist der Weg doch vorgezeichnet: Erst sitzen wir im Dunklen, dann merkt die Politik, dass es nur mit Kerzen nicht geht.
Wir sitzen im Dunklen?
Friedrich: Ja. Immer öfter muss in das deutsche Stromnetz eingegriffen werden, um es nicht einbrechen zu lassen. Was kaum einer weiß: Die europäischen Stromnetze sind mit 36 Knotenpunkten miteinander verbunden. Im Worst Case werden wir in den nächsten Jahren partiell Blackouts sehen.
Und kehren als Folge zum Atomstrom zurück?
Friedrich: Kernenergie ist unumgänglich und wird definitiv eine Renaissance erleben. Auch dazu habe ich in meinem aktuellen Bestseller ein ganzes Kapitel geschrieben. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, kommen wir nicht um Atomkraft drumherum. Selbst das IPCC empfiehlt Atomenergie. Wir brauchen emissionslose, grundlastfähige Energieträger, um unseren Wohlstand zu sichern. Der deutsche Alleingang der Energiewende war ein gigantischer, gefährlicher Fehler – und nicht nur völlig sinnlos, sondern auch teuer.
Haben es die Franzosen dann Ihrer Meinung nach begriffen? Sie fahren die Meiler hoch, während Deutschland den Anschluss verpasst.
Friedrich: Nicht nur Frankreich hat es begriffen, es ist eher andersherum: Alle kapieren es, nur die Deutschen nicht. Weltweit werden 156 Atomkraftwerke errichtet. 156! Selbst ölreiche Staaten im Mittleren Osten bauen aktuell AKWs und in Japan wird wieder auf Atomkraft gebaut. Frankreichs Präsident Macron ist stolz auf Atomkraft, es ist der Haupt-Energiebringer, emissionslos, umweltfreundlich und klimaneutral. Und wir schalten bis 2030 alles ab, ohne eine adäquate Lösung parat zu haben – grüne Utopie, mehr fällt mir dazu nicht ein.
Noch mal zu meiner Frage: Wir verpassen den Anschluss?
Friedrich: Haben wir schon längst. Dabei waren wir bei der Atomenergie einmal weltweit führend, bei der Herstellung und Wartung. Gut, Siemens ist bei der Wartung immer noch ein Player am Markt, aber andere Länder haben uns den Rang abgelaufen und sinnvoll in Kernkraft investiert. Ich muss es noch einmal deutlich sagen: Wir verlieren an allen Ecken und Enden an Wettbewerbsfähigkeit, weil die Energie- und Rohstoffpreise zu hoch sind. Und es gibt noch ein Problem.
Welches denn?
Friedrich: Die Finanzierbarkeit der Regierungsziele. Ich sehe schon das Pathos vor der Kamera, aber hintenherum gibt es Steuererhöhungen, eine Vermögensabgabe und ich denke auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Irgendwo muss das Geld ja herkommen.
Keine guten Aussichten für den Standort Deutschland, sofern es eintrifft.
Friedrich: Bei der politischen Auswahl kein großes Wunder. Keine einzige Partei hat die wahren Probleme im Wahlprogramm adressiert. Unser inflationäres Geldsystem und die demografische Kurve. Das ist die nächste tickende Zeitbombe, um im Bild zu Beginn des Interviews zu bleiben. Die Baby-Boomer gehen in Rente, die Menschen werden immer älter und immer weniger junge Menschen sollen das Renten- und Sozialsystem tragen. Ein typisches Schneeballsystem.
Wenn ich Anlegerperspektive einnehme: Was soll der Investor machen?
Friedrich: Diversifizieren und um seine Kaufkraft zu schützen, muss man bei dem endlosen Schulden machen der Staaten und Gelddrucken der Notenbanken in durch die Natur und durch die Mathematik limitierte Werte investieren. Für deutsche Aktien bin ich nicht so optimistisch, sofern man das pauschal sagen kann.
Und was mache ich dann?
Friedrich: Auf limitierte Werte setzen wie Gold, Silber, Diamanten, Rohstoffe und Bitcoin. Und wenn es Aktien sein müssen, dann sind Konsumgüter und Rohstoffe (Öl, Gas, Energie, Uran, Minen) eine gute Option.
Quelle: https://www.friedrich-partner.de/blog-post/finanzexperte-im-focus-online-interview-marc-friedrich geladen am 26.11.2021