6 Gründe warum Aktien nicht vor Inflation schützen

Aktien gelten als Schutz in inflationären Zeiten – acht Phasen in der Geschichte zeigen aber, dass Sparer hier genau hinsehen sollten

Bei hohen Inflationsraten schrumpft das Vermögen. Aktien sind Sachwerte, folglich wird ihnen von vielen ein automatischer Schutz vor der Teuerung zugesprochen. In der Praxis ist das aber nicht so einfach.

Michael Ferber 09.05.2022, 05.30 Uhr

In der Euro-Zone ist die Inflation im April voraussichtlich auf rekordhohe 7,5 Prozent gestiegen. Mit 2,5 Prozent lag sie in der Schweiz im selben Monat zwar um einiges niedriger, für das Land ist das aber ebenfalls ein hoher Wert. Um sich vor der Teuerung zu schützen, raten viele Anlageexperten und Vermögensverwalter zum Kauf von Aktien und Aktienprodukten – natürlich zumeist nicht ohne Hintergedanken, da sie dabei mitverdienen.

Dabei betonen sie, dass es sich bei Aktien um Sachwerte handle, man erwirbt mit ihnen einen Anteil an einem Unternehmen. Bargeld, Bankguthaben oder Anleihen sind hingegen Nominalwerte, die bei hoher Teuerung starke Einbussen erleiden. Wie gut schützen Aktien aber tatsächlich vor Inflation? Hier sollten Sparer genauer hinschauen.

Kursgewinne geringer als Inflationsraten

Dabei lohnt ein Blick auf Aktien in einer Periode mit hohen Inflationsraten, etwa der Phase 1964 bis 1984. Laut Berechnungen von Thorsten Polleit, Chefökonom beim Edelmetallhaus Degussa, stieg der amerikanische Leit-Aktienindex S&P 500 in diesem Zeitraum – Dividenden nicht eingerechnet – um 3,8 Prozent pro Jahr. Die Inflation betrug in derselben Periode hingegen im Durchschnitt 6 Prozent jährlich. Der US-Leitindex bot in diesem Zeitraum also keinen guten Schutz vor der Teuerung.

Real gesehen – also unter Berücksichtigung der Inflation – entwickelten sich weder Aktien noch Obligationen gut in inflationären Zeiten, heisst es in dem Paper «The Best Strategies for Inflationary Times», das von einem dem Hedge-Fund-Anbieter Man nahestehenden Autoren-Team im August vergangenen Jahres im «Journal of Portfolio Management» publiziert worden ist.

Aktien böten aber wenigstens einen gewissen Schutz vor der Teuerung, da Inflation nicht zuletzt die Unternehmensschulden verringere und Firmen ihre Preise potenziell anpassen könnten, heisst es darin. Als Inflationsphase definieren die Autoren eine Zeit mit Inflationsraten von mehr als 5 Prozent pro Jahr. Dabei gehen sie davon aus, dass solche Phasen zumeist von unerwarteten «Inflations-Schocks» ausgelöst werden.

Acht Inflationsphasen in den USA

Sie haben für die Untersuchung acht Inflationsphasen in den USA definiert (vgl. Tabelle). US-Aktien, gemessen an einem breiten Index, hätten im Durchschnitt in diesen Phasen nach Berücksichtigung der Teuerung 7 Prozent an Wert verloren. Während der Inflationsphase des Opec-Öl-Embargos 1972 bis 1974 betrug der Verlust sehr hohe 46 Prozent. Während der Phase in Zusammenhang mit dem Korea-Krieg gab es hingegen einen realen Gewinn von 24 Prozent. Das zeigt schon, dass es keine allgemeingültige Regel für die Entwicklung von Aktien in inflationären Phasen gibt. Allerdings war die Performance von Aktien in drei Vierteln dieser Phasen negativ.

So haben sich US-Aktien in acht Inflationsphasen entwickelt

Rendite nach Abzug der Teuerung in Prozent

InflationsphaseZeitraumDauer MonateReale Rendite US-Aktien
Eintritt USA Zweiter WeltkriegApril 1941 – Mai 194214–24%
Ende Zweiter WeltkriegMärz 1946 – März 194713–27%
Korea-KriegAugust 1950 – Februar 1951724%
Ende Bretton-Woods-SystemFebruar 1966 – Januar 197048–7%
Opec-Öl-EmbargoJuli 1972 – Dezember 197430–46%
Iranische RevolutionFebruar 1977 – März 198038–14%
Wirtschaftsboom unter Präsident ReaganFebruar 1987 – November 19904612%
China-NachfrageboomSeptember 2007 – Juli 200811–17%

Quelle: Neville, Henry et al.: «The Best Strategies for Inflationary Times», The Journal of Portfolio Management, August 2021

NZZ / feb.

Inflation wirke sich tendenziell erst ab einem gewissen Schwellenwert – also bei hohen Teuerungsraten – negativ auf die Aktienbewertung und die Aktienrenditen aus, sagt auch Andreas Reichlin, Partner beim Pensionskassen-Beratungsunternehmen PPCmetrics.

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Sie beeinflusst auf verschiedene Art und Weise die Geschäftstätigkeit von Unternehmen, was umso spürbarer wird, je höher sie ist. Dies lässt sich anhand von sechs Punkten aufzeigen.

1. In inflationären Zeiten steigen oft die Kapitalmarktzinsen

In der Vergangenheit stiegen die Zinsen im Allgemeinen deutlich, wenn die Inflation zunahm. Laut Polleit waren die Anleger schliesslich nur dann bereit, Obligationen zu halten und zu kaufen, wenn sie dafür entsprechend entschädigt wurden. Verfolgten Zentralbanken eine inflationäre Politik, so wurde dies von den Anleihemärkten quasi «bestraft».

Höhere Renditen bei Obligationen machten diese derweil attraktiver gegenüber Aktien, was wiederum die Nachfrage nach Letzteren senkte. Mit der Inflation stiegen laut Polleit auch die Diskontierungszinsen, mit denen man die künftigen erwarteten Gewinne von Unternehmen abzinste. Dies wiederum sorgte für geringere Barwerte – damit ist der Wert gemeint, den Zahlungen in der Zukunft in der Gegenwart haben. In der Folge sanken auch die Aktienkurse.

Diese Mechanismen wirkten in den Jahren 1964 bis 1984, in denen Aktien keinen allzu guten Schutz vor Inflation boten. In den vergangenen Jahren hat allerdings die ultraexpansive Geldpolitik der Zentralbanken – beispielsweise der gezielte Aufkauf von Anleihen – dazu geführt, dass die Zinsen tief gehalten wurden. So stellt sich nun die Frage, ob dieser Mechanismus noch so wirkt wie früher.

2. Inflation behindert das wirtschaftliche Umfeld

Höhere Inflation beeinflusst die Geschäftstätigkeit von Firmen auch dadurch, dass sie wirtschaftliche Unsicherheit schafft. Sie schädige die Fähigkeit von Unternehmen, zu planen, zu investieren und zu wachsen, heisst es im Paper «The Best Strategies for Inflationary Times».

Viele Unternehmen können die höheren Kosten für Rohstoffe oftmals nur zum Teil an die Konsumenten weitergeben. Dies sorgt für sinkende Margen, was wiederum Druck auf die Aktienkurse ausübt.

3. Inflation sorgt für Fehlinvestitionen

Polleit weist darauf hin, dass Inflation die Preissignale verzerrt, weil sie die Preise von Gütern zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichem Ausmass verändere. Steigen die Preise für die Güter eines Anbieters plötzlich stark an, könne dies für ihn ein Signal sein, die Produktion stark auszuweiten, Investitionen vorzunehmen und Personal einzustellen.

Es bestehe aber die Gefahr, dass nach einem ursprünglichen Boom rasch Ernüchterung einkehrt und sich die neuen Investitionen als verfehlt herausstellen. Zu optimistische Gewinnerwartungen für Unternehmen schlagen sich dann in einer Anpassung an die Realität und in der Regel auch in sinkenden Aktienkursen nieder.

Es bestehe möglicherweise ein Zusammenhang zwischen unerwarteter Inflation und einer nachfolgenden Wirtschaftsschwäche, heisst es im Paper «The Best Strategies for Inflationary Times». In fünf der skizzierten acht Inflationsphasen sei eine unmittelbar nachfolgende Abschwächung des realen Wirtschaftswachstums zu beobachten gewesen.

4. Inflation sorgt für einen höheren Kapitalbedarf

In inflationären Zeiten steigen die Preise für die Güter, welche Unternehmen einkaufen, sowie oftmals auch die Löhne. In der Folge brauchen die Firmen mehr Kapital. Laut Polleit reichen die Gewinne der Unternehmen oftmals nicht aus, um die immer teurere Produktion zu finanzieren. Folglich griffen viele Firmen auf die Aussenfinanzierung zurück, sie erhöhen also beispielsweise das Kapital, geben Obligationen aus oder nehmen Kredite bei Banken auf.

Kapitalerhöhungen wirken sich derweil oftmals negativ auf den Aktienkurse aus, da durch die Ausgabe neuer Aktien der Wert der Anteile der Altaktionäre «verwässert» wird. Verschulden sich die Unternehmen durch die Aufnahme von Krediten oder die Ausgabe von Obligationen stärker, steigen laut Polleit die Zinskosten, was den Unternehmensgewinn ebenfalls schmälern kann.

5. Manche Geschäftsmodelle von Firmen leiden in Inflationszeiten . . .

In dem Paper «The Best Strategies for Inflationary Times» heisst es, Wachstumsaktien, die Gewinne und hohe Einnahmen weit in der Zukunft versprechen, seien besonders sensibel gegenüber höheren Diskontierungszinsen.

«In einer Zeit mit höheren Inflationsraten dürften viele Konsumenten weniger Geld in der Tasche haben», sagt Tatjana Puhan, stellvertretende Anlagechefin des Vermögensverwalters Tobam. Erfahrungsgemäss sparten sie dann vor allem bei Dingen, die «nice to have» – also gewünscht, aber nicht notwendig – sind. Sie geht davon aus, dass zurzeit auch die grossen US-Technologieunternehmen davon betroffen sein dürften.

Die Aktien der Tech-Riesen haben in den vergangenen Jahren stark zugelegt und ein immer grösseres Gewicht in gängigen Börsenindizes wie dem S&P 500 oder dem MSCI World gewonnen. In Letzterem, dem sogenannten Welt-Aktienindex, hatten die vier US-Technologieriesen Apple, Microsoft, Amazon oder Alphabet per Ende Februar zusammen ein Gewicht von 13,7 Prozent.

Die sehr starke Performance der Aktien der Big-Tech-Konzerne in den vergangenen Jahren sei vor allem durch den starken Konsum getrieben gewesen, sagt Puhan. Dies gelte etwa für den Online-Versandhändler Amazon oder den Tech-Riesen und iPhone-Hersteller Apple. Hätten die Konsumenten weniger Geld in der Tasche, sei davon auszugehen, dass sie genauer rechnen würden. Dies wiederum dürfte sich dann in den Geschäftszahlen der Tech-Konzerne niederschlagen.

6. . . . andere Unternehmen sind resistenter

Bestimmte Branchen und Firmen reagierten allerdings weniger sensibel auf die Inflation als andere, sagt Reichlin. Dies gelte beispielsweise für Unternehmen, die bei ihren Produkten eine hohe Preissetzungsmacht haben. Sie können in einer Phase mit hoher Teuerung die Preise erhöhen und so den Effekt der Inflation kompensieren. Zwar könne von Aktien in Zeiten mit höherer Teuerung kein direkter Inflationsschutz erwartet werden. Man könne aber auch nicht sagen, dass die Dividendenpapiere in einem inflationären Umfeld nicht geeignet seien.

Als Faktoren für eine gute Resilienz von Unternehmen in inflationären Zeiten nennt der Vermögensverwalter Flossbach von Storch in einem Kapitalmarktbericht folgende Aspekte: Preissetzungsmacht gegenüber Kunden (Markenstärke, Produktqualität), Verhandlungsmacht gegenüber Lieferanten bzw. Grössenvorteile, Flexibilität in Beschaffung, Produktion und Vertrieb, wettbewerbsfähige Gehälter für hochqualifizierte Mitarbeitende sowie eine effiziente Kostenkontrolle.

Quelle: https://www.nzz.ch/finanzen/aktien/aktien-und-inflation-kein-automatischer-inflationsschutz-ld.1681864 geladen am 10.05.2022

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